Chabarowsk - "ein Haufen Quatsch"?
Im Gegensatz zu den beiden Nürnberger Prozessen wurden Biowaffenaktivitäten in dem Verfahren, das vom 25. bis zum 30. Dezember 1949 im sibirischen Chabarowsk stattfand, offen und breit diskutiert (wenngleich vermutet werden kann, dass die Sowjets dabei auch nicht alle Karten auf den Tisch legten). Den sowjetischen Truppen war es gelungen, zahlreiche japanische Biowaffenexperten festzunehmen. Sie wurden beschuldigt, sich an „kriminellen, unmenschlichen Experimenten“ beteiligt zu haben, weil sie den Einfluss biologischer Kampfmittel auf den lebenden Menschen untersucht hatten. Tausende seien den Versuchen zum Opfer gefallen, nachdem sie mit den Erregern von Pest, Cholera, Typhus, Milzbrand und Gasbrand infiziert worden waren.
Seitens der US-Administration wurde der Prozess von Chabarowsk als reine Propaganda diskreditiert. Dr. Mortimer A. Rothenberg, der wissenschaftliche Direktor des in Dugway, Utah, gelegenen Testgeländes für biologische und chemische Kampfstoffe bezeichnete die sowjetischen Behauptungen dem amerikanischen Journalisten John W. Powell gegenüber als "reine Propaganda" und als einen „Haufen Quatsch". Das war gelogen: Als einer der führenden US-Experten für chemische und biologische Kriegsführung kannte Rothenberg Umfang und Inhalt des japanischen Biowaffenprogramms. Zudem musste er wissen, dass erst die sowjetischen Ermittlungen in Vorbereitung des Chabarowsker Prozesses auch die USA zu Erkenntnissen über das Ausmaß der japanischen Aktivitäten verholfen hatten.
Allerdings wird die Masse der von der Roten Armee erbeuteten japanischen Dokumente offenbar bis heute geheim gehalten. Vermutlich erkannten die Sowjets ebenso wie ihre (ehemaligen) Verbündeten, dass die japanischen Erfahrungen auf diesem Gebiet für das eigene Biowaffenprogramm von größter Bedeutung sein dürften.
Zunächst aber hatten die Sowjets keine Hemmungen, den Amerikanern weitgehend offen zu legen, was sie in den Vorermittlungen für den Chabarowsker Prozess herausgefunden hatten, zumal sie hofften, auch einige der von den Amerikanern gefangen genommenen japanischen Experten als Zeugen vernehmen zu können.
Für die USA war vieles von den sowjetischen Erkenntnissen völlig neu – vor allem die Tatsache, dass die Japaner in großem Umfang auch Menschenexperimente durchgeführt hatten. Außerdem gingen die Amerikaner fälschlicherweise davon aus, dass die wichtigste japanische Biowaffeneinrichtung in Pingfan befehlsgemäß völlig zerstört gewesen sei, als sie in die Hände der Roten Armee fiel.
In einer Beratung über die von den Sowjets erbetene Möglichkeit, von den Amerikanern festgenommene japanische Experten befragen zu können, erwähnte der sowjetische Delegationsleiter im Januar 1947 eher beiläufig, dass ihre Experten „die Ruinen von Pingfan“ untersucht hätten. Der amerikanische Delegationsleiter war entsetzt: Hatten die Japaner Pingfan womöglich nicht vollständig zerstört? Gespannt fragte er ob Pingfan bombardiert oder als Ergebnis der Kämpfe zerstört worden sei. Mit gespielter Unschuld antwortete der Russe: „Pingfan wurde vollständig von den Japanern zerstört, die versuchten, alle Spuren auszulöschen. Auch alle Dokumente wurden vernichtet, und unsere Experten machten nicht einmal Fotos von den Ruinen, so vollständig war das Zerstörungswerk“. Diese Angaben wurden noch jahrzehntelang weltweit geglaubt.
Vierzig Jahre später besuchte der deutsche Mediziner Till Bärnighausen die Stätte, als er seine Doktorarbeit über die japanischen Biowaffenaktivitäten schrieb. Er fand, dass es sich durchaus noch lohnte, in Pingfan Fotos zu machen: Die Sowjets hatten ihre ehemaligen Verbündeten belogen. Inzwischen sind charakteristische Teile der Einrichtung rekonstruiert und zur Besichtigung freigegeben worden. Inzwischen wurde sogar gemeldet, es sei beabsichtigt, bei der UNESCO eine Anerkennung der Überreste des Instituts als Bestandteil des